Weil sich im Wandervogel viele Ideen und Möglichkeiten eröffnen, die nun schon über viele Generationen hinweg, Jugend und Jungen immer wieder begeistern konnten. Dabei sind die Vielfalt und die Ganzheitlichkeit wesentlich.
Zu Wandervogelaktivitäten gehört die Hinwendung zur Natur, wo man viel Zeit verbringt, die Fahrt mit all ihren Erlebnissen und Entdeckungen, die Gruppe, das eigene Musizieren, die handwerkliche und künstlerische Betätigung dazu, wie auch das Gespräch und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Belangen. Ein junger Mensch wird hier auf vielfältige Weise gefordert und gefördert und kann dadurch reifen und vielleicht auch ganz neue Fähigkeiten entdecken und entwickeln.
So steht der Wandervogel – als Kern der deutschen Jugendbewegung – seit über 100 Jahren bis heute für ein erfülltes und erlebnisreiches Jugendleben. Für eine Jugendzeit, die den Charakter bildet und den Horizont für menschliches Miteinader und die kulturelle Vielfalt ungemein erweitert.
Wandervögel gibt es seit 1896, als Hermann Hoffmann, ein Student und junger Lehrer am Berlin-Steglitzer Gymnasium damit begann, seine Schüler für Wanderungen in die umliegende Natur zu begeistern. Zum Schrecken vieler Erwachsener zog man an Wochenenden musizierend durch die Straßen zur Stadt hinaus. Dabei oft kurze Hosen und offenen Hemden tragend, eine Kleidung die für Oberschüler in der damaligen Zeit, die eher als kleine Erwachsene auftraten, völlig ungewöhnlich war. Aus der Enge und den Konventionen der Stadt ging es hinaus in die Natur, wo man sich selbst entfalten, den ganzen Menschen ausleben, aber in der Erfahrung der Gemeinschaft und den Anforderungen des einfachen und naturnahen Lebens auch innerlich wachsen konnte.
Doch was ist es denn nun, was heute einen Wandervogel, was heutige Gruppen auszeichnet? Was hat die Wandervogelbewegung über mehr als hundert Jahre hinweg, über einige politische Umbrüche und Diktaturen, weiterleben und zeitlos werden lassen?
Am Beginn, um das Jahr 1900, ging es erst einmal darum, Freiräume für ein eigenes, alternatives Leben in der Natur zu schaffen. Heute hat die Jugend diese Freiheiten. Lehrer, Eltern, die „Obrigkeit“ sind keine unfehlbaren Autoritäten mehr. Aber dennoch gibt es auch in unserer heutigen Zeit eine ganze Reihe von Zwängen, denen die Jugend unterworfen ist. Man braucht nur einmal Schüler fragen, wie schnell man ins Abseits gelangen kann, wenn man nicht den neuesten Mode- und Musiktrends folgt.
Heute ist weniger autoritäre Bevormundung das Problem, sondern vielmehr der Verlust von Orientierungsgrößen, die zunehmende Aufweichung unseres Wertesystems, die ‚Verampelung’ der Gesellschaft, die alles und jedes Überreguliert und damit Freiräume und persönliche Verantwortung des Einzelnen in immer weiterem Umfang beschneidet, Konsumzwänge, und die zunehmende Verdinglichung und Entpersonifizierung des Einzelnen.
Beim Wandervogel hingegen ist weiterhin jeder Einzelne wichtig. Es kommt auf die Persönlichkeit an, die bei all den Herausforderungen der Fahrt und des Gemeinschaftsleben wachsen kann. Mit einem Wertegerüst an der Seite, steter Begegnung mit der Natur, eigener und anderen Kulturen, Musik und Kunst, in Bundesgemeinschaften, die meist Jüngere und lebenserfahrene Ältere umfassen, kann ein junger Mensch reifen, Stärken und Fähigkeiten entdecken und dabei eine Vielfalt erleben, die so umfänglich und ganzheitlich anderswo nur schwer zu finden ist.